Gibt es zu viele «bad news» in den Schweizer Medien?

Getreu dem Motto «only bad news is good news» fokussieren Zeitungen, Radio, Fernsehen und Online-Medien auf negative Geschichten. Doch wird mit dieser Art von Berichterstattung nicht bloss Angst und Schrecken unter den Medienkonsumenten verbreitet? Wieso werden «good news» nur am Rande thematisiert? Medienprofessor Vinzenz Wyss erklärt, warum in den Medien über so viel Schlechtes berichtet wird.

SRG Insider: Wer heute Medien konsumiert, dem fällt vor allem eins auf: Mord, Totschlag, Kriege, Sexualdelikte und Naturkatastrophen dominieren das Angebot. Ist die Medienberichterstattung wirklich so negativ oder täuscht der Eindruck?

Vinzenz Wyss: In der Medienwissenschaft wird diese Frage seit eh und je untersucht. Es trifft zu, dass Negativismus ein dominanter Nachrichtenfaktor ist. Das hat zur Folge, dass dann eben das Fremde schnell mal mit explodierenden Kosten in einen Zusammenhang gebracht wird, dass der Muslim gewalttätig ist oder der Priester ein Sexualproblem hat, obwohl sicherlich in allen Fällen «das Normale» anders ist.

Warum hat das Prinzip «only bad news is good news» nach wie vor Erfolg?

Negativismus ist ein Aufmerksamkeitsfaktor erster Güte. Auch im Alltag erzählen sich Menschen eher Geschichten über das Irritierende; also Ereignisse, die vom Normalen, vom Gewohnten abweichen. Das sind nun mal eher negative Irritationen wie Machtmissbrauch, Bedrohung, Schaden und Ähnliches. Das Negative betrifft meistens Dinge, die uns stören, über die wir sprechen müssen, die wir verändern wollen. Der Journalismus macht genau das auch. Er thematisiert aber auch das abweichend Positive, etwa den unerwarteten Erfolg eines Raumfahrt-Projektes. Die positiven Irritationen sind aber dünner gesäht und die Tatsache, dass glücklicherweise jeden Tag die Sonne aufgeht, gibt in der Öffentlichkeit als Gesprächsstoff wenig her.

Zeichnen Journalisten ein falsches Bild von dieser Welt, indem sie sich vor allem auf «bad news» fokussieren?

Es ist sicher richtig, dass Journalismus durch die favorisierte Thematisierung dessen, was negativ vom Gewohnten abweicht, die so genannte Realität verzerrt. Es wäre aber auch naiv zu meinen, Journalismus sei in der Lage, die Realität abzubilden. Das kann auch nicht seine Aufgabe sein. Der Journalismus muss auf die relevanten Fragen fokussieren, die uns im öffentlichen Dialog beschäftigten sollen.

Eine Alternative zu «bad news» lautet «Konstruktiver Journalismus», der sich den positiven Apsekten einer Story zuwendet. Was macht denn eine positive Nachricht aus?

Positive Geschichten muss man meistens aktiv suchen. Grundsätzlich kann auch eine gute Nachricht, wie ein überraschender Erfolg, eine Rettung, eine selbstaufopfernde Liebe oder eine unwahrscheinliche Vergebung, zu einem Beitrag werden. Aber auch hier gilt: Im Journalismus werden positive Themen nur dann aufgegriffen, wenn das Positive unerwartet eintrifft.

Welche Medien legen den Fokus auf negative Nachrichten? Gibt es Unterschiede zwischen Online-Medien, Print-Medien oder Radio und Fernsehen?

Alle Nachrichtenmedien greifen eher das Negative als das Positive auf. In der Regenbogenpresse oder im Peoplejournalismus wird schon eher der Nachwuchs des Pop-Sternchens zum Thema. Funktionaler konstruktiver Journalismus meint aber etwas völlig anderes, als einfach die schönen Seiten des Lebens zu zeigen. Er geht von einem irritierenden Konfliktfall aus und sucht nach dem überraschend Positiven im Sinne eines Lösungsansatzes, der Schule machen könnte. Das bedeutet aber harte Arbeit für den Journalisten. Er muss sich in der Sache gut auskennen, die konstruktive Dimension finden und in der Lage sein, daraus, durch zusätzliche Recherche, eine gute journalistische Geschichte zu machen. Das geht nicht mit Copy Paste. Darum braucht es Redaktionen, die solche journalistischen Konzepte bewusst fördern.

Konstruktiver Journalismus – bedeutet das nicht das Ende von investigativem und kritischem Journalismus?

Nein, im Gegenteil. Der konstruktive Journalismus lebt vom aufgedeckten Missstand und von der Kritik; er geht aber darüber hinaus und sucht auch nach Lösungsansätzen und erfolgreichem Handeln in Situationen, die schier unlösbar erschienen. Das Zusammenspiel dieser Konzepte wäre wichtig.

Text: Elena Tzvetanova
Bild: Thomas Züger

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