Auf stetiger Suche nach Menschen und Geschichten
Die «DOK»-Filme von SRF leben von aussergewöhnlichen Menschen mit aussergewöhnlichen Geschichten. Wie findet man diese? Und wie gewinnt man deren Vertrauen? SRF-Reporter Hanspeter Bäni kennt sich bestens mit solchen Fragen aus.
Hanspeter Bäni, Reporter bei SRF, ist es gewohnt, schwierige und heikle Themen mit der Kamera einzufangen. Seine DOK-Filme lösen Debatten aus und machen betroffen. So zum Beispiel der DOK «Tod nach Plan», für welchen Bäni einen psychisch kranken Mann auf dem Weg zum Freitod mit Exit begleitet hat. Ebenfalls von Bäni stammt der Film über einen Zürcher Jugendanwalt, der den Fall «Carlos» ins Rollen brachte. Wie aber findet er immer wieder auf Neue solche Geschichten? Und welches sind die grössten Herausforderungen seiner Arbeit? SRG Insider hat nachgehakt.
Hanspeter Bäni, Ihre Filme berühren, machen betroffen und lösen immer wieder hitzige Diskussionen aus. Um dies zu erreichen, braucht es aussergewöhnliche Protagonisten mit aussergewöhnlichen Geschichten. Wie finden Sie diese Menschen bzw. Geschichten?
Hanspeter Bäni: Die beiden oben erwähnten Geschichten wurden mir redaktionsintern zugetragen. Grundsätzlich bin ich aber bestrebt, «meine» Themen durch eigenen Input zu finden. Einzige Voraussetzung dafür ist, mit offenen Augen und Ohren durch die Welt zu gehen. Auf einer Wanderung im Urner Maderanertal sah ich beispielsweise einen Bergbauern, der am Abgrund eines Steilhanges die Wiese von Hand mähte. Ich suchte umgehend das Gespräch mit ihm. Das war der Beginn einer Langzeitbeobachtung über eine Bergbauernfamilie, die unter extremen Bedingungen den Alltag zu bewältigen hat. Vier Jahre später war dann das Resultat am TV unter dem Titel «Im Schatten des Glücks» zu sehen. Natürlich verfolge ich auch das Geschehen in den Medien, aber oft finde ich die Themen buchstäblich auf der Strasse, indem ich die Sinne schärfe für Orte, Situationen und Menschen, die nur vordergründig unspektakulär wirken. So entstanden Filme aus einem Hochhaus, aus dem Warenhaus, vom Bahnhof, usw.
Ihre Filme sind so eindrücklich, weil es Ihnen gelingt, dass sich die Protagonisten Ihnen gegenüber öffnen. Sie gewähren Ihnen und somit auch dem Publikum intimste Einblicke in ihr Leben, ihre Erlebnisse, ihre Gefühle oder gar Abgründe. Wie schaffen Sie es immer wieder aufs Neue, ein solches Vertrauen der Protagonisten zu gewinnen?
Ich arbeite hauptsächlich als Videojournalist, was den Vorteil hat, dass man oft unterschätzt wird. Ich bin einfach ein Typ, der mit einem Kamerarucksack aufkreuzt. In heiklen Fällen sichere ich den Protagonisten zudem zu, den Film vor dessen Ausstrahlung sehen zu dürfen. Ihr Mitspracherecht beschränkt sich allerdings auf die Faktenlage. Selbstverständlich müssen die Persönlichkeitsrechte gewahrt sein ‒ die gestalterische, dramaturgische und journalistische Freiheit bleibt aber Sache des Autors. Summa summarum gewinne ich auf diese Weise fast immer das Vertrauen der Protagonisten, weil sie sich gegenüber dem Fernsehen nicht ausgeliefert fühlen.
Das Filmen von Dokumentation steht stets im Widerspruch zwischen einem authentischen Bild, das der Filmer vermitteln will, und einem idealisierten Bild, das die Protagonisten gerne von sich sähen – das aber oftmals nicht der Realität entspricht. Wie gehen Sie mit diesem Spagat und der Verantwortung, die damit verbunden ist, um?
Entscheidend ist die Auswahl der Filmsequenzen, die so gewählt sein sollten, dass sie den Charakter des Dargestellten wahrheitsgetreu spiegeln. Das kann durchaus hart sein für den Porträtierten, der vielleicht lieber nur sein Sonntagsgesicht abgelichtet sehen möchte. Mir geht es aber nicht darum, den Menschen in ein negatives Licht zu stellen, sondern ihn authentisch zu porträtieren. Offene Gespräche vor Beginn der Dreharbeiten können die Arbeit erleichtern; beide Seiten wissen dann nämlich, was sie voneinander zu erwarten haben. Ich achte auch darauf, dass ich kritische Fragen direkt im Rahmen eines Interviews stelle und nicht erst am Schnittplatz – vom Mut ergriffen – einen kritischen Kommentar verfasse. Persönlich mache ich immer wieder die Erfahrung, dass Protagonisten durchaus gewillt sind, einiges «einzustecken», wenn man gegenüber ihnen transparent bleibt.
Interview: Jasmin Rippstein
Bild: Hanspeter Bäni (hanspeterbaeni.ch / zVg.)
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