Wenn Daten Geschichten erzählen

Der Datenjournalist, das unbekannte Wesen. Er bildet sich gerade als eigene Berufsgattung heraus. Auch SRF hat nun ein Daten-Team: SRF Data. Was aber ist an Daten so spannend?

Am Ende von Julian Schmidlis erster Recherche für SRF Data, dem neu gegründeten Datenjournalisten-Team von SRF, steht eine beeindruckende Zahl: 220 Millionen. So viele Franken hat der Bund letztes Jahr für IT-Projekte im sogenannten freihändigen Verfahren vergeben. Also Aufträge direkt an eine Firma erteilt, ohne sie öffentlich auszuschreiben. Das bedeutet: kein Bieterstreit, damit auch kein Preisdruck – im schlimmsten Fall aber Vetternwirtschaft und Intransparenz. 220 Millionen.

Um zu der Zahl zu kommen, hat Schmidli, zusammen mit einer Kollegin von «10vor10», Tausende von Beschaffungsaufträgen analysiert. Dafür sog er sich grosse Datenmengen von einer Internetdatenbank des Bundes herunter. Dass immer mehr Daten öffentlich zugänglich sind, ist ein Trend aus den USA, der nach Europa überschwappt, und Datenjournalisten auch hierzulande üppig Stoff liefert. An solche Datensätze zu gelangen, ist Schmidlis Spezialgebiet: «Ich bin gewissermassen die Spürnase im Team.»

Auf Zusammenarbeit angewiesen

Timo Grossenbacher, das zweite Teammitglied, hat Geografie und Informatik studiert: «Meine Lieblingsthemen haben einen räumlichen Bezug: Raumplanung, Umwelt, Mobilität und so weiter.» Ein Geograf als Journalist? Nicht ungewöhnlich, sagt er. «Wir Geografen müssen uns oft eine Nische suchen, es sucht selten jemand explizit nach uns.» Zudem kann Grossenbacher programmieren, ein enormer Vorteil. Denn je grösser die Datensätze, desto wichtiger wird es, deren Analyse zu automatisieren – dem Computer zu zeigen, was er zu tun hat, und ihm dann die Fleissarbeit zu überlassen.

Sylke Gruhnwald, dritte im Team, leitet SRF Data. Zuvor hat sie bei der NZZ ein ähnliches Team aufgebaut. An ihr ist es, die Geschichten von SRF Data auf den Sender zu bringen. Kanalgerecht aufbereitet, für Radio, Fernsehen und online. «Nicht zu unterschätzen bei der Grösse dieses Hauses», sagt sie. Ohne die enge Zusammenarbeit mit den anderen Redaktionen, ergänzt Schmidli, könnte SRF Data gar nicht funktionieren: «Wir schliessen uns nicht irgendwo mit irgendwelchen Daten ein und kommen dann mit dem fertigen Produkt wieder raus. Im Gegenteil: Wir sind sehr offen angelegt und versuchen auch, das enorme Wissen in diesem Haus anzuzapfen.»

Kritische Arbeit für Gesellschaft

Die drei sind sich einig darüber, was der Datenjournalismus leisten kann, was er ist und was nicht. «Uns begegnet oft das Vorurteil, dass Datenjournalismus auf Datenvisualisierung – also auf hübsche Grafiken reduziert wird. Das ist aber erst das Ende der Geschichte, wenn überhaupt», sagt ­Schmidli. Die Arbeit der Datenjournalisten unterscheide sich oft nicht von der eines klassischen Reporters, sagt Gruhnwald: «Wir telefonieren viel, gehen raus. Wir reden mit den Leuten, die die Daten gesammelt haben – zum Beispiel beim Bundesamt für Statistik. Oder aber wir klagen auf die Herausgabe von Daten, die der Öffentlichkeit vorenthalten werden.»

Datenjournalisten, ist Schmidli überzeugt, können der Gesellschaft einiges bieten: «So vieles wird auf der Basis von Daten entschieden. Gerade deswegen stehen wir Daten und ihren Urhebern kritisch gegenüber. Wir können nachvollziehen, wie sie zustande gekommen sind.» Die Digitalisierung hat den Journalismus insgesamt subjektiver gemacht. Meinung dominiert. Jeder kann Kommentare schreiben, sie sind billig, erfordern kaum Recherche. Emotionen und Stimmungen verkaufen sich gut. Dem hält der Datenjournalismus entgegen. In den Worten des Datenblogs des «Guardian»: «Fakten sind heilig.»

Möchtest du mehr über den Beruf Datenjournalist/in erfahren? Möchtest du wissen, welche Anforderungen es braucht und wie du den Einstieg in den Beruf schaffst? Das Team von SRF Data fasst für dich im Berufsprofil das Wichtigste zusammen.

Quelle: LINK 1/2015
Text: Oliver Fuchs; jr
Bilder: SRF/Oscar Alessio

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