«Nachgefragt»: Datenjournalismus – der heilige Gral des Journalismus?

Seit rund fünf Jahren liegt der Datenjournalismus im Trend. Wieso eigentlich? Und wird dieser Hype bald wieder abflauen? Julian Schmidli, Reporter bei SRF Data, erklärt, was es mit seinem innovativen Beruf auf sich hat und wie es um die Zukunft des Datenjournalismus steht.

SRG Insider: Wie arbeitet, bzw. was macht, ein/e Datenjournalist/in?
Julian Schmidli: Die Aufgaben eines Datenjournalisten sind vielfältig: Er beschafft Datensätze zu relevanten Themen, analysiert sie und entwickelt daraus journalistische Geschichten. In meinem Fall für Formate in TV, Radio und dem Netz. Das geht am besten im Team, weil es eine aufwändige Arbeit ist, die viele unterschiedliche Kompetenzen benötigt.

Wie wird man Datenjournalist/in?
Noch kann man sich nicht zum Datenjournalisten ausbilden lassen. Gewisse Affinitäten können aber helfen: zu Statistik, methodischem Arbeiten, Programmierung, Visualisierung und investigativer Recherche. Ich selbst habe mir das Meiste während der Arbeit als Recherche-Journalist beigebracht. Durch «learning by doing» kann man erste Hürden nehmen und sich später fortwährend verbessern. Auch helfen Online-Kurse, der Besuch von Workshops und Konferenzen – sprich der Austausch mit Kollegen.

«Datenjournalismus» ist seit rund fünf Jahren ein grosser Trend im Journalismus. Wieso?
Da spielen viele Faktoren mit hinein. Zum einen wurden Techniken und Tools aus einer Not heraus entwickelt. Als der Guardian und andere Medien etwa Gigabites an Daten von Wikileaks zugespielt bekamen, musste sie Informatiker an Board holen, um diese Mengen analysieren zu können. Inzwischen haben einige Redaktionen solche Spezialisten integriert. Weil sich mit vielen Daten gerade im Internet neuartige Geschichten erzählen lassen, wirkt das auch für das Publikum sehr attraktiv. Auf NYTimes.com basieren zum Beispiel inzwischen viele der meist gelesenen Geschichten auf Datenjournalismus.

Wird der Trend irgendwann wieder abflauen, oder ist der Datenjournalismus gekommen um zu bleiben?
Ich bin überzeugt, der Begriff Datenjournalismus wird in ein paar Jahren wieder verschwinden – weil sich die Techniken in alle Sparten des Journalismus integrieren werden. Die Methoden und Tools des Datenjournalismus jedoch werden den Journalismus verändern, wie ihn auch die Erfindung des Telefons verändert hat. Man sagt ja heute auch nicht Telefonjournalismus, trotzdem arbeitet jeder mit dem Telefon. Übrigens auch der Datenjournalist.

Dass Journalisten mit Hilfe von Computern ihre Geschichten schreiben ist nicht gerade neu (bereits 1952 nutzten Journalisten des Fernsehsenders CBS einen Computer, um die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen zu analysieren). Was hat sich in den letzten Jahren massgeblich verändert?
Den grossen digitalen Sprung erkennt man, wenn man zum Beispiel die Entwicklung des Smartphones anschaut: Da gab es eine enorme Veränderung bei der Schnelligkeit von Hardware und den Möglichkeiten von Software. Hinzu kommt viel Pionierarbeit von vor allem angelsächsischen Journalisten sowie eine politische Strömung, die sich für mehr Transparenz und «Open Data» einsetzt.

Was macht Datenjournalismus so attraktiv?
Datenjournalismus steht für faktenbasierten Journalismus. Er basiert auf harten Daten und einer klaren Methodik – und lässt sich jederzeit reproduzieren. Das hilft der Aussagekraft einer Geschichte und der Glaubwürdigkeit eines Mediums. Oft haben datenjournalistische Formate auch einen starken Interaktions-Charakter: Die Konsumenten können durch die Daten navigieren und so ihre eigene, auf die eigenen Interessen zugeschnittene Geschichte entdecken.

Hast du Vorbilder auf deinem Beruf?
In den letzten Jahren haben sich in diesem Feld schon einige Namen profiliert. Ich bewundere Kollegen und Teams, die Recherche mit datenjournalistischen Techniken verschränken und diese Geschichten auch adäquat erzählen können. Die New York Times macht das herausragend, ebenso der Guardian. Es gibt aber auch kleinere Teams aus Europa, die ganz hervorragende Arbeit leisten: Berliner Morgenpost, Opendata City oder Journalism++.

Text: Elena Tzvetanova
Bilder: Titelbild (flickr.com / Yuri Samoilov); Porträt Julian Schmidli (zVg.)

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