«Nachgefragt»: Wie entsteht eine Wetterprognose?
«Ziemlich sonnig, am Vormittag und Mittag vorübergehend dichtere Wolkenfelder.» Hinter diesem einfachen Satz stecken gigantische Datenmengen, jahrelange Erfahrung und viel Denkpower. Eine Geschichte von Supercomputern, Meteorologen und Fehlprognosen.
Es schlägt drei Uhr nachts, als sich Meteorologin Claudia Stocker ihren Weg zum Herzstück der Wettermacher bahnt, dem Ort, der unsere Vorfreude auf Sonne weckt und uns vor Hagel und Blitz warnt. Wenn die acht Bildschirme ihres Arbeitsplatzes zum Leben erwachen, beginnt für sie ein riesiges Puzzle aus Zahlen, Grafiken und viel Erfahrung.
Szenenwechsel: Reading, England. Gut gesichert in den Räumlichkeiten des «Europäisches Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage» (ECMWF) - läuft eine eindrückliche Maschine: Der ECMWF Supercomputer. Auf über 8000 Prozessoren rechnet die Nummer 40 der leistungsstärksten Rechner der Welt Temperatur, Feuchtigkeit, Wind – und was sonst noch einen Einfluss auf das Wetter haben könnte – ineinander, um aus diesem Zahlenwirrwarr ein Wettermodell für die nächsten Tage zu erstellen. Wenn der Computer zweimal täglich seine Ergebnisse ausspuckt, beginnt im nächtlichen Zürich die eigentliche Arbeit.
Datenschlacht
«Zuerst muss ich mir einen Überblick verschaffen, was die letzten Stunden passiert ist», erklärt Stocker. Satelliten- und Radarbilder sowie Daten dutzender Messstationen helfen ihr dabei. Dann geht es ans Prognostizieren. Die Glaskugel: Das Wettermodell des ECMWF – aber nicht nur. Auch Amerika bietet ein mögliches Modell für die nächsten Tage. Nun gilt es, die beiden Modelle zu interpretieren. Stocker schaut sich jede Veränderung, jede Abweichung zwischen den Modellen, an. «Die Prognosen sind ein Potpourri aus verschiedenen Wettermodellen», erklärt sie. Aber vor allem ist Erfahrung gefragt. Zeigt ein Modell eine «Delle» an, ein Tief hoch über unseren Köpfen, ist das ein Indiz für Gewitter. Doch plötzlich ist diese «Delle» im Modell verschwunden. «Wieso hat es diese Delle wieder herausgerechnet?» Ihre Erfahrung hilft ihr, darauf eine Antwort zu finden. War das Wetter irgendwann ähnlich? Wird es sich wieder so verhalten? Sie sucht nach Mustern, vergleicht Temperatur, Feuchtigkeit, Wind, Niederschlag, Geopotential, um aus diesem Datenwirrwarr die nahe Zukunft herauszulesen.
Münstertal und Splügenpass
Um diese Schlacht gegen die Daten zu gewinnen, muss auch die Geografie sitzen. Sie muss wissen, welche Täler wie zueinander stehen, wo das Terrain abfällt, wo welche Pässe liegen. Erst dann kann sie Wolken, Wind und Regen richtig voraussagen. Verpasst Stocker mal einen Sturm oder schätzt ihn falsch ein, wird der Sache nachgegangen. Man möchte ganz genau wissen wie es dazu gekommen ist, erklärt sie. Jede Fehlprognose erweitert den Erfahrungsschatz, macht die Prognose das nächste Mal noch genauer. Dann ist es soweit, ihre Prognose steht – niedergeschrieben in einer Tabelle, versehen mit kryptischen Zeichen.
Meteorologisch - Deutsch
Nun startet der Übersetzungsprozess: Hochdruckgebiet, Quellwolken, Frost. 20 Sekunden lang darf ihre Prognose für «Radio SRF 3» sein. Die Hörer von «Radio SRF 1» sind da geduldiger: 75 bis 90 Sekunden. Dann startet der Radiomarathon. Ein Sender nach dem anderen – auch einige Privatstationen – schalten live ins Wetterstudio. Ein Auge richtet Stocker dabei immer auf die aktuellen Daten. Hat sich das Wetter unerwartet verändert? Muss sie ihre Prognose anpassen?
Schichtwechsel: Die letzten Informationen werden an die Kollegen weitergegeben, Wetterdaten ausgetauscht, manchmal muss der Kollege gar von der Richtigkeit der Prognose überzeugt werden. Dann geht sie raus, sieht ihre Prognose eintreffen oder nicht. Die Trefferquote: Erstaunliche 85 Prozent. Davon kann Madam Etoile nur träumen.
Mehr über das Team von SRF Meteo und ihre tägliche Arbeit erfahrt ihr in den nächsten Wochen hier auf SRG Insider, auf der Webseite von SRF Meteo und auf Twitter.
Text: Simon Huwiler
Titelbild: Simon Huwiler
Porträt Claudia Stocker: SRF/Oscar Alessio
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