Die neuen Formen der Dokumentation: Die Mischung macht's

Neues entsteht, wenn man Altbekanntes mischt. Das gilt auch für das ehrwürdige Genre der Dokumentation. Warum Filmemacher, Reporter und Radiojournalisten die Lust am Mischen entdecken – und wie sie neue Wege finden, uns zu zeigen, was ist.

Stolpert man beim Lesen über ein sperriges Wort, dann sind meistens die Griechen schuld. Die haben das Wort erfunden. Oder aber das Wort kommt aus dem Lateinischen – dann haben es die Römer bei den Griechen geklaut. Nur haben die sich beim Übersetzen aus dem Griechischen nicht sonderlich Mühe gegeben. «Hybrid» ist so ein Wort. Die Römer übersetzten es als «Mischling». Und so verstehen wir das Wort bis heute: Ein Hybrid entsteht, wenn man Dinge miteinander mischt.

Mischen kann man alles Mögliche. Auch Fernsehformate. Vorletztes Jahr war so ein Hybrid, ein Doku-Hybrid, die meistdiskutierte Sendung im Schweizer Fernsehen. Das Doku-Drama «Die Schweizer», stellte historische Szenen aus der Schweizer Geschichte mit Schauspielern nach. Zwischen den fiktiven Filmsequenzen erklärten uns Historiker, was wir davon zu halten hatten. Man hätte dasselbe wohl auch ohne Mischen, also im klassischen Dokumentarstil, machen können. Wahrscheinlich hätten sich so aber deutlich weniger Zuschauerinnen und Zuschauer für eine Geschichtsstunde vor den Fernseher locken lassen.

Komm bald wieder

Es gibt noch wildere Hybridformen. Da gab es neulich zum Beispiel den SRF DOK-Zweiteiler «Tatort Matterhorn». Wenn man das Hybridformat von «Tatort Matterhorn» einigermassen genau beschreiben möchte – dann gehen einem beinahe die Bindestriche aus. Forensik-Doku-Drama-Krimi, das trifft es wohl am ehesten.

Haben klassische, lange, dichte Dokus ohne solche spielerischen Elemente, ihre Existenzberechtigung verloren? Das sicher nicht. Das hat auch damit zu tun, wie Fernsehen funktioniert. «Fernsehen», sagt Stefano Semeria, Programmleiter TV bei SRF, «besteht heute zu einem überwiegenden Teil aus seriellen Inhalten.» Denn es gebe eine unausgesprochene Abmachung zwischen Sender und Zuschauer: «Der Zuschauer bekommt etwas Ähnliches, ein Format also, immer wieder und immer zur gleichen Zeit.» Das schaffe für die Zuschauer Verlässlichkeit: Sie würden sich darauf verlassen können, dass sie auch die nächste Folge mögen werden, wenn ihnen die letzte gefallen habe.

Kinder von rebellischen Eltern

Die wirklich wilden Hybrid-Dokumentationen sind Kinder von rebellischen Eltern. Sie spielen mit den Formvorgaben oder ignorieren sie komplett. Sie laufen unseren seriellen Sehgewohnheiten zuwider. Darum funktionieren sie in jenen Medien am besten, in denen serieller Konsum nicht so wichtig ist. Das erklärt, wieso die wildesten, innovativsten Doku-Hybriden oft online anzutreffen sind.

Hier lohnt es sich, noch einmal kurz darauf zurückzukommen, wie die Römer den Griechen die Wörter klauten. Beim Übersetzen von «Hybrid» aus dem Griechischen nämlich muss ein römischer «idiota» am Werk gewesen sein. Die Griechen sprachen nicht vom Mischling – sondern von der Hybris, der Hochmut, die nur böse enden kann. Hybris, im Falle von Filmemachern, Reportern und Radiojournalisten bedeutet, dass diese ihrem Publikum zu viel zumuten. Dass sie so wild mischen, dass das Publikum Wahrheit und Fiktion nicht mehr trennen kann. So verlieren Journalisten ihr Kapital: das Vertrauen des Publikums, dass die Journalisten ihm die Wahrheit erzählen.

Zeigen, was ist

Bei SRF ist man sich dieser Gefahr bewusst. «Authentizität ist bei uns ein hohes Gut», sagt Nathalie Rufer, stellvertretende Leiterin des Bereichs Dokumentarfilm und Reportage bei SRF. «Wir sind zwar seit rund einem Jahr in der internen Organisationsstruktur bei der Kultur angesiedelt, aber wir fühlen uns der Information genauso verpflichtet wie zuvor», sagt Rufer. Selbstverständlich seien auch Dokumentationen immer subjektiv gefärbt. «Der Anspruch eines Dokumentarfilms ist es aber letztlich, die Realität abzubilden», sagt Rufer. Das schliesse nicht aus, dass die Dokumentarfilme unterhalten, im Gegenteil.

Hinweis: Der vollständige Beitrag ist erstmals im Mitgliedermagazin LINK (Ausgabe 4/2015) erschienen und kann dort in voller Länge nachgelesen werden.

Zum Bericht

Quelle: LINK 4/2015
Text: Oliver Fuchs, ck
Bild: SRF

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