Die Illusion der «perfekten» Gesellschaft

Der deutsche Journalist Tom Schimmeck gewinnt mit «Silicon Blues – im Hinterhof eines Mythos» den «featurepreis'15» der Stiftung Radio Basel. Was hat Schimmeck dazu bewogen, über die «andere» Seite des amerikanischen Traums zu berichten? SRG Insider hat ihn getroffen und gefragt.

Ein Mann erzählt in gebrochenem Englisch, wie er auf der Strasse gelandet ist. Man muss den Herr nicht sehen, um zu erkennen, dass er einiges erlebt hat. Wie viele Menschen im Silicon Valley ihr Leben auf der Strasse verbringen, weiss niemand genau – von über 7000 pro Bezirk ist die Rede. Egal welchen Beruf man erlernt hat, im Silicon Valley besteht bei fast jedem das Risiko, nach einer Kürzung des Monatslohns auf der Strasse zu stehen. Mit dem Featurebeitrag zu diesem Thema, möchte Tom Schimmeck die «perfekte» Welt im Silicon Valley relativieren.

Kaum vorhandene Mittelschicht

Schimmeck arbeitet gerne mit Audioformaten wie dem Feature, weil Protagonisten weniger gehemmt sind. Es ist keine Kamera auf sie gerichtet – die Situation findet in einem anonymeren Rahmen statt. Im Silicon Valley sprach Schimmeck mit vielen Menschen, die in armen Verhältnissen leben. Armut kannte er bereits aus Afrika – Menschen in solch verzweifelten Situationen zu sehen – das trifft ihn jedoch immer wieder auf's Neue. Seine erschreckendste Erkenntnis während seiner Zeit in Amerika: Die Mittelschicht ist kaum mehr vorhanden – die Zahl der Obdachlosen unglaublich hoch.

Die «perfekte» Gesellschaft

Tom Schimmeck ist ein weit gereister Mann. Jahrelang war er als Korrespondent in Afrika tätig – auch in Amerika hat er viel Zeit verbracht. Anfang der 90er Jahre war Schimmeck fasziniert vom Silicon Valley. Er war immer wieder vor Ort – hat viel darüber geschrieben. Während dieser Zeit wurde ihm bewusst, dass es den «amerikanischen Traum» nicht mehr gibt. Trotzdem wurde vor allem das Silicon Valley weiter als Musterbeispiel für eine funktionierende Gesellschaft genommen. Dass dort die Schere zwischen Arm und Reich enorm gross ist, war jedoch nie ein Geheimnis. Trotzdem besteht die Illusion der perfekt funktionierenden Gesellschaft weiter. Schimmeck wollte mit seinem Feature einen anderen Weg ausprobieren, um die Menschen zu erreichen und über das Thema aufzuklären. Er lässt Betroffene zu Wort kommen und diese Emotionen kommen an. Man erkennt schnell, wie prekär und verzweifelt die Situation der Menschen ist.

Kein Einzelfall

Das Land, in dem angeblich alles möglich ist, wenn man nur bereit ist alles dafür zu geben – das Land bietet im Endeffekt doch nicht so viele Chancen wie man glaubt. Einige wenige verdienen top – der Mittelstand muss darben. Dieses Problem kennt man nicht nur in Amerika: Auch hierzulande wird der Mittelstand mit neuen Gesetzen immer wieder belastet. Gemäss dem «Handbuch zur Armut» von «Caritas», leben über eine Million Schweizer in Armut. Dreihundert Schweizer besitzen mehr Geld als die ganze restliche Bevölkerung zusammen.

Die Problematik, welche der prämierte Beitrag von Schimmeck behandelt, ist mehr als aktuell. Deshalb die Botschaft von Schimmeck: «Glaubt nicht der Standarderzählung, welche das täglich neu gestanzte Klischee unterstreicht. Schaut richtig hin.»

«Silicon Blues – im Hinterhof eines Mythos» könnt ihr euch in der Mediathek von SWR anhören.

Der «featurepreis»: Die Stiftung Radio Basel wurde 1937 von der Radio-Genossenschaft Basel (SRG Region Basel) ins Leben gerufen. Der Stiftungszweck liegt vorwiegend in der Förderung der Radio- und Fernsehkultur sowie in der Unterstützung der SRG Region Basel und des SRG-Standorts Basel. Nachdem die Stiftung Radio Basel während zwanzig Jahren einen eigenen Hörspielpreis verliehen hatte, lancierte der Stiftungsrat 2007 den internationalen «featurepreis».

Nina Müller (22) studiert Multimedia Production an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Chur. Für SRG Insider blickt sie hinter die Kulissen von SRF und geht Geschichten rund um die SRG nach.

Text: Nina Müller
Titelbild: iStockphoto
Portrait Tom Schimmeck: Nina Müller

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