«Mein Senf»: Weniger Landfrauen dafür mehr Reality-TV?
Braucht es mehr «echtes Leben» statt gespielter Landidylle bei der «Landfrauenküche»? Oder soll doch eher die «Schönheit unseres Landes» gezeigt werden? In der Rubrik «Mein Senf» lassen wir diesen Monat Nina und Mario über das Programm von SRF sinnieren.
«Schon vor einer Weile hat der ‹Nebenspalter› über ein fiktives Nachfolgeformat von ‹SRF bi de Lüt – Landfrauenküche› berichtet. Name dieser Sendung: ‹SRF bi de Lüt – Aggloschlampenküche›, denn die ‹Überidealisierung der ländlichen Schweiz› widerspiegle überhaupt nicht ihre moderne Realität.
Das Beispiel eignet sich gut. SRF-Sendungen wie ‹Landfrauenküche› oder ‹Hüttengeschichten› zeigen eine ‹heile Geranien-Schweiz› (Nebelspalter), aber bestimmt nicht den Alltag von Frau und Herr Schweizer. Im Gegenteil: Zur Primetime werden hier Mythen untermauert, Berge inszeniert, intakte Familien hochstilisiert und Hausmannskost serviert, natürlich nach einem durchorganisierten Arbeitstag voller Fleiss. Das bringt wenig Erkenntnis über unser Land im Jahr 2016, aber Quote.
Wo sind die Sendungen, die ebendiese Klischees, diese Fantasieschweiz in Frage stellen oder sich gar darüber lustig machen? Wo sind anstelle der ländlichen Idylle die Städte, die Agglomerationen – einfach die Umgebung, wo die meisten von uns leben? Sehr gerne dürfte das Schweizer TV-Publikum auch mal erfahren, wie eine alleinerziehende Mutter zwischen zwei miserabel bezahlten Jobs noch was beim Take-away holt, damit der Nachwuchs zu Hause sein Wachstum ohne Unterbruch fortsetzen kann. Oder keine Hütten-, sondern WG-Geschichten aus Unistädten. Einfach mehr Realität statt Sehnsucht.
Einfach mehr Realität statt Sehnsucht.
Ein gelungener Versuch, dieser veränderungsresistenten Schweiz einen Spiegel vorzuhalten, ist ‹Experiment Schneuwly›. Höre ich ‹Aber das ist doch Fiktion!›? Ich hatte während der Sendungen nicht selten den Eindruck, das Ehepaar Schneuwly sei mehr Realität als jede Landfrauenküche.
Für mich braucht das SRF-Programm mehr echtes Leben statt Mythologisierung von rückwärtsgewandten Sehnsüchten, mehr Urbanität statt gespielte Landidylle – und das heisst folglich mehr Orientierung an der nächsten Generation des SRF-Publikums. Sie soll die Schweiz sehen, wie sie ist – nicht wie wir sie haben möchten.»
Mario Stübi (31) ist freischaffender Redaktor und engagiert sich im Vorstand der SRG Luzern.
«Kühe mit goldenen Glocken, weite Täler und glasklare Bergseen – die wunderbaren Klischees über unsere schöne Schweiz und vor allem das Bild, welches Ausländer vom Land der stolzen Eidgenossen haben. Dies sind nur einige der Gründe, warum das Land bei SRF ein bisschen mehr Sendezeit verdient hätte.
Im Februar 2016 schlug ein Kurzvideo von Grindelwald hohe Wellen im Internetmeer. Über zwei Millionen Mal wurde es angeschaut und viele Leute meinten nach Anschauen des Videos, dass sie in die Schweiz ziehen möchten, so schön sei es hier. Grindelwald ist nur eine von vielen wunderschönen Ortschaften in der Schweiz. Ich finde, die Schönheit unseres Landes dürfte ruhig ein bisschen mehr in den Programmen von SRF vertreten sein.
Kühe mit goldenen Glocken, weite Täler und glasklare Bergseen.
Die Radiosendung ‹Dorfplatz› gibt zwar einen Einblick in das Dorfleben, der visuelle Aspekt fehlt allerdings. Doch genau damit können unsere ländlichen Gebiete punkten. Sei es ein schmuckes Dörfchen in den Alpen oder im Berner Oberland – erwähnenswert sind beide. Dies würde zur Allgemeinbildung über unser Land beitragen. In eine Stadt fährt jeder vom Land mal. Umgekehrt findet das aber eher nicht statt. Ohne einen triftigen Grund, wie Skifahren gehen oder Verwandte besuchen, kriegt man die meisten Dörfchen niemals zu Gesicht. Dabei wäre es doch sehr interessant, immerhin werden die alten Schweizer Traditionen eher auf dem Lande ausgelebt, als in der Stadt.
Ein klares Argument, warum mehr über das Land gesendet werden soll ist, dass es mehr ländliche Gebiete als Städte in der Schweiz gibt. Dies ist vor allem im politischen Aspekt sehr wichtig. Politische Meinungen bilden (oder sollten zumindest) sich vor allem durch Informationen. Doch wie kann man die richtigen Informationen liefern, wenn man nicht weiss, wo die Probleme auf dem Land liegen?»
Nina Müller (23) studiert im 6. Semester Multimedia Production an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Chur.
In der Rubrik «Mein Senf» lassen wir jeden Monat jemand Junges zum aktuellen Themenschwerpunkt zu Wort kommen. Alle bisher publizierten «Senf»-Texte findest du unter: #meinsenf
Illustration: Stephan Lütolf
Portrait Mario Stübi: Priska Ketterer
Portrait Nina Müller: Katharina Müller
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