«Mein Senf»: Wie war das noch mit idée suisse?
Wie Oliver (25) vom Französisch-Verachter zum Romandie-Fan wurde und warum die Medien – auch SRF – nicht unschuldig daran sind, dass ihm die Westschweiz lange Zeit so exotisch erschien.
«Wahrscheinlich liegt’s an mir. Ich bin da sensibel. Sensibilisiert wohl genauer gesagt. Ich war ja auch mal so. Lange Zeit sogar. Ich hab' Französisch in der Schule auch nicht ausstehen können. Ist ja auch eine verdammt hochnäsige Sprache. Romands kannte ich zwar keine, aber wenn die schon so eine grässliche Sprache sprechen, dann würde es sich wohl auch kaum lohnen, welche kennenzulernen.
Ein paar Jahre später – einige davon an der Uni in Genf – weiss ich, was ich verpasst hätte, wenn ich nicht über meinen Schatten und den vielbeschworenen Röstigraben gesprungen wäre. Dass mir die Westschweiz lange Zeit so exotisch vorkam, daran sind die Medien – auch SRF – nicht unschuldig.
Da ist der Wurm drin
Es ist ja nicht so, dass SRF den Rest der Schweiz ignoriert. Es gibt beispielsweise Korrespondenten im Tessin und in der Romandie. SRF berichtet auch ganz artig, wenn ‹da drüben› – beziehungsweise ‹unten› – etwas passiert. Die ‹harten› Nachrichten sind auch nicht das Problem. Es ist vielmehr die Art und Weise, wie unsere ‹Nachbarn› im SRF-Programm abseits der Newssendungen vorkommen.
Ein Beispiel. Vor einiger Zeit widmete die SRG einen ganzen Themenschwerpunkt der Schweizer Identität. ‹Die Schweizer› hiess der. Teil des Schwerpunktes war eine Serie über den Austausch von zwei Familien – die Ambrosinis aus dem Tessin tauschten für eine Woche ihr Haus mit einer Deutschschweizer Familie, den Teubers. Sympathisch. Da wurde viel gelacht, sich über die kleinen Unterschiede ausgetauscht: «Wenn wir ‹hoi› sagen, sagt Daniele ‹ciao›. Sagen wir aber ‹tschau›, sagt er ‹arrivederci›. Das Projekt, so ist der Sendungs-Seite zu entnehmen, wurde im Rahmen eines internen Wettbewerbs zum Siegerprojekt erklärt, welches am besten geeignet war, das Verständnis zwischen den Sprachregionen zu fördern. Ich will ehrlich gesagt lieber nicht wissen, gegen welche «innovativen» Mitbewerber sich dieses Format durchsetzen musste. Nicht, dass ich an der Sendung selbst viel auszusetzen hätte. Abgesehen davon, dass ich sie ziemlich bieder fand. Aber sie ist ein gutes Beispiel dafür, wo im Umgang mit ‹gli altri› der Wurm drin ist.
Zum medialen Abenteuer hochstilisiert
Ich werde den Eindruck nicht los, dass die Begegnung mit unseren Mitschweizern jedes Mal zum medialen Abenteuer hochstilisiert wird. Hey, diese Woche tauschen soundso die Plätze. Was wird wohl passieren? Das wird sicher lustig. Die sind ja so anders, und trotzdem haben die so viel mit uns gemeinsam. Toll nicht? Auswandern, ins eigene Land. Ich finde diese Art, die Sprachenvielfalt zu thematisieren, ziemlich verkrampft. Sollte es nicht selbstverständlich sein, dass wir jeden Tag damit konfrontiert werden, dass ‹Wir Schweizer› mehr als eine Sprache sprechen?
Dass es fast jedes Mal ein Ereignis ist, welches eine Spezialsendung mit Vorankündigung und Nachlese erfordert, zeigt, dass dem nicht so ist. Nichts gegen die Wertschätzung der kleinen Unterschiede und Eigenheiten. Aber ich finde es wäre die Aufgabe der Medien, uns jeden Tag um die Ohren zu hauen, dass wir nicht alle Schweizerdeutsch sprechen. Idée suisse, bis wir’s nicht mehr hören können. Dann wird es nämlich Routine – fast schon langweilig. Genauso langweilig wie der tägliche Wetterbericht. Und genau darum geht es mir. Denn was heisst langweilig schon anderes als ‹ganz normal›. Aber wie gesagt, wahrscheinlich bin ich da etwas sensibel.»
Dieser Beitrag wurde ursprünglich zum Themenschwerpunkt «Les autres» auf SRG Insider verfasst und 2014 zum ersten Mal veröffentlicht.
In der Rubrik «Mein Senf» lassen wir jeden Monat jemand Junges zum aktuellen Themenschwerpunkt zu Wort kommen. Alle bisher publizierten «Senf»-Texte findest du unter: #meinsenf
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Bild: Thomas Züger
Illustration: Stephan Lütolf
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