«Mein Senf»: Das Warten ist auch ein Akt

Sie hat zwar ein Smartphone, benutzt es aber kaum, Facebook hatte sie früher mal, Instagram & Co. interessieren sie nicht. Angelo Zehr redet mit Noëlle, 22, einer bewussten Technik-Abstinenzlerin.

MSN, Partyguide, Netlog, Facebook. Bis sie 17 Jahre alt war, habe sie «voll mitgemacht», doch dann hat wollte sie nicht mehr.

Was ist damals passiert?

Es war ein kleiner Akt der Rebellion. Ich wollte da nicht mehr mitmachen, ich wollte anders sein.

Empfindest du denn einen Druck, mitmachen zu müssen?

Ja schon, es wird schon sehr gefördert. Ich gehe zur Pädagogischen Hochschule und gelegentlich halten Leute von der Swisscom Vorträge und ermutigen uns, soziale Medien auszuprobieren. Das ganze Unterrichtsmaterial befindet sich in der Cloud. Eigentlich wollte ich ohne Laptop durchs Studium kommen, aber das ging nicht. Und das passt mir nicht. Wir nähern uns dem Punkt an, dass man mitmachen muss, weil’s effektiv nicht mehr anders geht.

Was machst du, wenn du auf einen Zug warten musst und alle anderen das Smartphone zücken?

Auch einfach mal dastehen. Wir versuchen immer Zeit zu überbrücken, aber ich möchte auch diese Zeit bewusst erleben.

«Das Warten ist ja auch ein Akt.»

Man macht ja nicht nichts. Man steht ja da, hört und sieht Dinge.

Wie informierst du dich?

Phu, leidiges Thema. 20 Minuten & Co. lese ich nicht. So etwas empfinde ich als pure Unterhaltungsindustrie. Gelegentlich lese ich den Bund oder das Magazin. Es interessiert mich sehr, was auf der Welt abgeht. Ich versuche aber, zu unterscheiden, was wirklich relevant für mich ist und was nicht. Aber ich muss mich nicht jeden Tag mit tragischen Ereignissen auf der Welt auseinandersetzen, die ich nicht ändern kann.

Wo verläuft da die Grenze? Gestern gab es eine Explosion in Ludwigshafen – hast du davon zum Beispiel etwas mitbekommen?

Ja, davon hab ich gelesen. Ich war während einer langweiligen Vorlesung kurz auf der Website vom «Bund». Diese Momente gibt es schon auch, aber ich versuche sie auf ein Minimum zu reduzieren.

Warum ist dir das so wichtig?

Dieses Sprunghafte stört mich. Alles wird so kurzlebig. Man checkt schnell dies und das, schreibt schnell mit der oder jenem, aber vergisst alles ganz schnell wieder. Ich versuche, weniger Dinge gleichzeitig zu verfolgen, die mir dann aber wichtig sind.

Das ganze Gespräch zum Nachhören

Wie gehst du als angehende Lehrerin damit um, dass deine Schüler viel Zeit am Smartphone und in sozialen Netzwerken verbringen?

Das frage ich mich auch immer wieder. Mir ist es wichtig, dass ich weiss, wie diese Dinge funktionieren. Ich möchte nicht jemand sein, die keinen Plan hat davon. Ich möchte den Schülern auch nicht sagen, dass sie die Finger davon lassen sollen. Aber ich möchte ihnen zeigen, dass es anders auch geht, dass sie wählen können. Aber letzten Endes finde auch ich: Jeder und jede soll so leben, wie er oder sie will.

In der Rubrik «Mein Senf» lassen wir jeden Monat jemand Junges zum aktuellen Themenschwerpunkt zu Wort kommen. Alle bisher publizierten «Senf»-Texte findest du unter: #meinsenf

Bild: Angelo Zehr
Interview und Text: Angelo Zehr

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