Wenn bei der UBI über sekundäre Geschlechtsmerkmale debattiert wird
Am Freitag debattierten neun Anwälte ausführlich über «Titten» am TV. Gegenstand der Beratung der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen war ein humorvoller Rückblick zur Gruppenphase im Rahmen der Fussball-WM 2018. Die Sitzung wurde erstmals von der neuen UBI-Präsidentin Mascha Santschi Kallay geleitet.
Ein erster heisser Fall...
... für Mascha Santschi Kallay. Die neue UBI-Präsidentin eröffnete die Sitzung mit den Worten: «Der erste Fall, den wir unter meiner Leitung behandeln, ist ein ganz heisser». Es geht um eine zweisekündige Sequenz vom 30. Juni 2018, in der eine vor Freude hüpfende Frau mit «wippenden Brüsten» zu sehen war. Der eigentliche Grund für die Kritik am Beitrag war aber nicht die knapp bekleidete Frau an sich, sondern dass diese mit dem Wort «Tiiii – telverteidigerfrust» in Verbindung gebracht wurde. Obwohl das Synonym für die weibliche Brust im betreffenden TV-Beitrag nicht ausgesprochen wurde und keine entblössten Brüste zu sehen waren, war es für eine SRF-Zuschauerin zu viel des Guten und sie reichte bei der Ombudsstelle eine Beanstandung ein. Ombudsmann Roger Blum pflichtete ihr bei, dass die Anspielung auf das Wort «Titten» sexistisch sei, worauf die Beanstanderin den Fall an die UBI weiterzog.
Das jüngste UBI-Mitglied, Nadine Jürgensen, hat sich diesem Fall angenommen und einen ausführlichen Bericht über besagte Sequenz verfasst, welchen sie an der Beratung laut vorlas. «Die Passage, weshalb wir heute hier versammelt sind, ist humoristisch, aber schief gegangen» brachte sie zum Ausdruck und bat ihre anwesenden Kollegen um Gutheissung der Beschwerde. Ganze neun Mal fiel in ihrem Bericht das Wort der Stunde: «Titten».
Das Klischee der Klischees
Es sei Absicht gewesen, dem Publikum für ein paar Sekunden grosse Brüste zu zeigen. «Stereotypischer kann man als Frau wohl kaum dargestellt werden» ist sich Rechtsanwältin und Journalistin Nadine Jürgensen sicher. Dem pflichtete auch Sekretariatsleiter Pierre Rieder bei. Er berät die UBI-Mitglieder bei der Beurteilung von Beschwerden. Bei der Diskriminierung dürfe es keine Rolle spielen, ob das Wort «Titten» ausgesprochen oder Brüste gezeigt werden. Für Armon Vital, neustes UBI-Mitglied, geht es nicht nur um das Wort selber, sondern darum, in welchen Kontext es gestellt wurde. Erst die Kombination von «Titten», «Titelverteidiger» und «Frust» mache den Inhalt diskriminierend. Dabei sei der Begriff Titelverteidiger matchentscheidend: Den Frauen blieben auf der Tribüne nur ihre weiblichen Waffen, während die Männer auf dem Rasen vollen Körpereinsatz zeigen. Diese Botschaft finde er krass. Der Datenschutzbeauftragte des Kantons Genf, Stéphane Werly, hat sich nicht daran gestört. Er findet ein wenig Dekolleté «pas vulgaire».
UBI-Vizepräsidentin Catherine Müller merkt an, dass das Klischee von solchen Frauen zum Fussballzirkus gehöre: «Die Würde der Frau wurde durch diesen kurzen Ausschnitt nicht auf sekundäre Geschlechtsteile reduziert». Es werde somit nicht stereotypisch die Gleichwertigkeit der Geschlechter in Frage gestellt. Es sei «ein plumper, leicht pubertierender Witz, den vielleicht einige Männer lustig finden», meint UBI-Präsidentin Mascha Santschi. «Nicht jeder Humor ist Satire, deshalb gilt es das Privileg der Satire zu schützen. Für Humor gibt es aber kein Privileg» hält Nadine Jürgensen fest.
Über Geschmack lässt sich streiten...
... das musste auch die UBI feststellen. Obwohl es zu keinen Wortgefechten während der Sitzung kam, fanden einige der Anwesenden, dass es sich bei der beanstandeten Sequenz in einem humoristischen Beitrag primär um eine Stil- oder Geschmacksfrage handelt. Diese sind nicht von der UBI zu beurteilen. «Wir sind eine Bundesbehörde und wir haben uns an Gesetzen zu orientieren» fasst Mascha Santschi zusammen. Maja Sieber ist der Meinung, dass es sich bei diesem Fall um eine Geschmacksfrage handelt und konnte deshalb die Beschwerde «contre coeur» nicht unterstützen. Es seien keine Grundrechte seitens SRF überschritten worden, gab auch Catherine Müller zum Ausdruck. Auch MAZ-Studienleiter Reto Schlatter sah die zwei Sekunden als grosse Geschmacksverwirrung und auch er folgte der Devise, wonach die UBI für Geschmacksfragen nicht zuständig ist. Deshalb unterstützte er die Beschwerde nach reiflicher Überlegung nicht. Auch Nadine Jürgensen findet, dass der Witz auf den ersten Blick gar nicht so schlimm scheine – es gäbe durchaus Schlimmeres. «Aber die Beschwerde als UBI abzuweisen hiesse, dass Frauen auf ihr Geschlecht reduziert werden».
Ein knapper Entscheid
Nach knapp einer Stunde kommt es zur Abstimmung per Handzeichen, welche mit fünf zu vier Stimmen knapp ausfiel. Die Mehrheit der Kommission erachtete die Beschwerde als begründet und kam zum Schluss, dass das Wortspiel in Kombination mit dem gezeigten Bildmaterial das rundfunkrechtliche Diskriminierungsverbot verletze. Auch in der anschliessenden Pause diskutieren die UBI-Mitglieder weiter über die Sequenz «Tränen, Tore, Titelverteidigerfrust», bevor sie den nächsten Fall behandelten.
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Text: SRG Insider
Bilder: SRG Insider | Screenshot SRF
Video: SRF
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