Wie der «Club» mit wenig Mitteln grosses TV macht

Mit einem Mini-Team produzierten Barbara Lüthi und Peter Düggeli innert weniger Wochen die Serie «America, let’s talk». Ein Blick hinter die Kulissen eines Projekts, das nicht nur die gesellschaftliche Spaltung der USA beleuchtet, sondern auch die Zukunft des «Club» prägen könnte.

Als Barbara Lüthi und Peter Düggeli sich aufmachten, das gespaltene Amerika zu erkunden, war klar: Diese Reise würde eine Herausforderung werden. Nicht nur aufgrund der politischen Spannungen in den USA, sondern auch wegen der enormen logistischen und produktionstechnischen Anforderungen. Mit «America, let’s talk» wollten sie die amerikanische Seele im Wahljahr ergründen. Entstanden ist eine vierteilige «Club»-Serie, eine 3Sat-Reihe und verschiedene Online- und Social-Media-Inhalte. Zusätzlich entsteht aus dem gedrehten Material ein Dokumentarfilm.

Ein zentrales Thema der Serie ist die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft. In der ersten Episode «Der Rostgürtel und der amerikanische Traum» etwa reiste Lüthi nach Michigan, Ohio und West Virginia – Staaten, die von Armut, Arbeitslosigkeit und dem Niedergang der Auto, Stahl-und Kohleindustrie gezeichnet sind. Doch gerade diese Herausforderungen führten oft zu einem starken Miteinander, wie Lüthi berichtet: «Die Menschen und die lokalen Politiker arbeiten über die Parteigrenzen hinaus zusammen, um ihre Gemeinden zu erhalten. Sie müssen sich aufs Wesentliche konzentrieren, weil sie wissen, dass sie sich nicht auf die nationale Politik verlassen können.» Viele Interviewpartnerinnen und Interviewpartner, mit denen Lüthi gesprochen hat, erklärten ihr zudem, dass sie sich für ‘Menschlichkeit und einen gemeinsamen Weg’ entscheiden. «Das hat mich überrascht», sagt sie. Peter Düggeli hat die Diskrepanz zwischen dem Bild der tief gespaltenen USA und der Realität vor Ort ebenfalls wahrgenommen: «Auf nationaler Ebene gibt es oft diese extreme Spaltung, aber auf lokaler Ebene haben die Menschen einen pragmatischen Ansatz und arbeiten zusammen.»

Die Wahrnehmung der Medien – Misstrauen und Vorurteile

Auf ihrer Reise stiessen die beiden immer wieder auf ein tiefes Misstrauen gegenüber den Medien. «Je stärker sich die Menschen mit Donald Trumps Politik identifizieren, desto mehr haben sie die Nase voll von den sogenannten 'Mainstream-Medien'», erklärt Düggeli. Eine Abtreibungsgegnerin aus Louisiana berichtete ihm, dass sie sich regelmässig für ihre Haltung rechtfertigen müsse, obwohl die Mehrheit der Menschen in ihrem Staat gegen Abtreibung sei. «Sie fühlen sich oft schlecht dargestellt und von gewissen Medien ungerecht behandelt», so Düggeli weiter.

«America, let’s talk» - die Reihe

Wenige Monate vor den Wahlen sind die USA zerrissen wie nie seit dem Bürgerkrieg. Das dokumentieren die «Club»-Moderatoren Barbara Lüthi und Peter Düggeli bei ihrer Reise von der Ost- an die Westküste.

Doch auch in diesem Wahljahr bestehen die USA nicht nur aus Bruch- und Baustellen. In Gesprächen mit Menschen aus allen Schichten, Reich und Arm, Jung und Alt, Republikanerinnen und Demokraten suchen die beiden Reporter auch nach den Zwischentönen. Und sie finden nicht nur Trennlinien, sondern auch einen Gemeinschaftssinn. Wie geht es den Amerikanerinnen und Amerikanern wirklich, fernab polarisierender Schlagzeilen und spaltender Rhetorik? Und sind sie bereit, ihre Staatsform zu verteidigen, oder ist die Demokratie im mächtigsten Land der Welt in Gefahr?

Hinweis: Die Reihe wurde im Frühsommer aufgezeichnet, bevor Kamela Harris die Präsidenschaftskandidatur von Präsident Joe Biden übernahm.

Teil 1: Der Rostgürtel und der amerikanische Traum
Teil 2: Die Südstaaten: Black Power, Blues und Glaube
Teil 3: Texas: Von Windrädern, Waffen und Polarisierung
Teil 4: Die liberalen Küsten und die Angst vor Donald Trump

Lüthi machte ähnliche Erfahrungen auf einer Veranstaltung der MAGA-Bewegung (Make America great again): «Viele wollten erst nicht mit mir sprechen, aber wenn man zeigt, dass man ihre Argumente ernsthaft hören will, öffnen sich einige.» Dabei kam unter anderem heraus, dass viele Menschen von der Demokratischen Partei enttäuscht sind, da sie die Arbeiter nicht mehr vertrete. «Diese Sichtweise wollte ich verstehen, denn sie fällt in den einst demokratischen Staaten im Rustbelt stark ins Gewicht bei der kommenden Präsidentschaftswahl im November.» Gleichzeitig betont Lüthi, dass es klare Grenzen gibt: «Falschinformationen lasse ich natürlich nicht stehen. Falsche Behauptungen, Fake News, wie diese von der gestohlene Wahl, muss man richtigstellen.»

Andere verstehen, um uns selbst zu verstehen

Für beide Journalisten war von Beginn an klar, dass «America, let’s talk» mehr sein sollte als eine blosse Berichterstattung über die USA. «Es ist wichtig aufzuzeigen, was geschieht, wenn demokratische Kontrollmechanismen untergraben werden, um zu verstehen, warum unsere eigenen so wichtig sind», sagt Lühti. In der letzten Episode haben sich die beiden deshalb uns unter anderem mit den Gefahren für die amerikanische Demokratie befasst, sollte Donald Trump noch einmal ins Weisse Haus gewählt werden Die Meinungen, ob die US-Demokratie dann gefährdet wäre, variierten entlang der Parteigrenzen stark. «Es ist essenziell, den Menschen zu zeigen, dass demokratische Prinzipien ins Wanken geraten, wenn andere Präsidenten an die Macht kommen», erklärt Düggeli.

«Es ist wichtig aufzuzeigen, was geschieht, wenn demokratische Kontrollmechanismen untergraben werden, um zu verstehen, warum unsere eigenen so wichtig sind.»

Barbara Lüthi, «Club»-Moderatorin

Die Serie werfe somit indirekt auch ein Schlaglicht auf andere Demokratien weltweit. «In der Schweiz haben die Menschen ein starkes Bewusstsein für ihre politische Verantwortung. Sie schätzen die eidgenössische ungemein», erklärt Düggeli. «Aber um dieses Bewusstsein zu bewahren, müssen wir uns immer wieder mit den Herausforderungen anderer Demokratien auseinandersetzen.»

Ein Mini-Team auf grosser Mission

Die Produktion von «America, let’s talk» war ein logistischer Kraftakt, der nur durch das riesige Engagement des kleinen «Club»-Teams und die enge Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen möglich wurde. Peter Düggeli war mit den «Club»-Produzenten Fabrizio Bobolini und der «Club»-Produzentin Tamara von Allmen unterwegs, die als VJ filmte, Barbara Lüthi reiste mit Kameramann Sergio Cassini. In Zürich hat Mirjam Weidmann das Material gesichtet und geordnet.

Für die Serie standen keine zusätzlichen finanziellen Mittel zur Verfügung. Doch dank der Ressourcen, die durch ausgefallene «Club»-Sendungen während der Fussball-Europameisterschaft frei wurden sowie der Zusammenarbeit mit SRF DOK und 3Sat konnte das Team die Produktion realisieren. «Das Budget war äusserst knapp, aber dank der Kooperationen mit anderen Abteilungen haben wir es geschafft», erklärt Düggeli.

Trotz des geringen Budgets war die Serie ein voller Erfolg. «Die Einschaltquoten waren fantastisch und auch im SRF-Stream kam die Serie sehr gut an», sagt Lüthi. «Besonders erfreulich war, dass auch junge Menschen zugeschaut haben – das zeigt, dass tiefgehender Journalismus auch bei ihnen auf Interesse stösst.»

Mit «America, let’s talk» haben Lüthi und Düggeli nicht nur ein Porträt der USA gezeichnet, sondern auch einen neuen Weg für den «Club» aufgezeigt. «Wir glauben, dass Talk-Formate vor Ort die Zukunft sein könnten», sagt Lüthi. «Die Gesprächspartner verhalten sich anders, bewegen sich freier, die Menschen sprechen offener. Es entsteht eine Dynamik, die man im Studio oft nicht erreicht.» Und Düggeli fügt hinzu: «Das bestärkt uns darin, dass 'Talk on the road‘ eine Möglichkeit ist, den 'Club‘ in die Zukunft zu führen und neue Zielgruppen anzusprechen.»

Text: Nicole Krättli

Bild: SRF

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